Mit dem Ende des 2. Weltkrieges und der Befreiung vom Faschismus steht Niederschöneweide vor kaputten Häusern und Brücken, die Kirchengemeinde vor den Trümmern ihrer ausgebrannten Kirche. Die evangelische Kirche in Deutschland als ganze steht vor den Trümmern ihrer Verkündigung, ihrer Theologie und ihrer Strukturen. Soll sie weitermachen, wo sie 1933 als national denkende Volkskirche aufgehört hat oder soll sie in der Tradition der Bekennenden Kirche einen Neuanfang als mündige verantwortungsbereite Gemeindekirche wagen?
Im Juli 1945 erklärt die Berliner Bekenntnissynode: „Das ganze Scheinwesen einer verweltlichten Volkskirche, die leichtfertig Gelübde abnimmt…,aber nicht über ihre Erfüllung wacht und sich an Illusionen als das Allgemeinübliche gewöhnt hat, ist durch den Kirchenkampf offenbar geworden“. Kirche soll sich zu einer „missionierenden Gemeindekirche“ wandeln. Die Grundordnung von 1948 legt in Artikel 14 fest: „Die erwachsenen Gemeindeglieder, die zum Abendmahl zugelassen sind, werden aufgefordert, die Verantwortung für ihre Gemeinden mit zu tragen und ihr zu dienen. Alle, die dieser Aufforderung Folgeleisten, sammelt der Gemeindekirchenrat zur ´dienenden Gemeinde´“.
Das Stuttgarter Schuldbekenntnis vom Oktober 1945 ermöglicht es den evangelischen Kirchen in Deutschland, Mitglied im neu zu gründenden Ökumenischen Rat der Kirchen (1948 in Amsterdam) zu werden.
In Niederschöneweide bilden im August 1945 die Herren Gutzner, Sparr, Grassow, Kinder, Müller und Frau Loeper den neuen Gemeindekirchenrat. Oberpfarrer Hoffmann wird zum 1. Oktober 1947 nach Berlin-Schöneberg versetzt. Neuer Pfarrer für Niederschöneweide wird Pfarrer Schliep aus Köpenick.
Der Wiederaufbau der Kirche ist schwierig, Gemeindeglieder übernehmen mit viel Elan die Aufräumarbeiten. Genehmigungen sind einzuholen, Holzlieferungen werden unterschlagen, Baumaterial gestohlen. Gottesdienste finden zunächst wieder in der Aula der Schule statt. Ab Januar 1948 kann der kleine Kirchsaal wieder benutzt werden. Zum 30. Juni 1948 wird die Nutzung der Aula durch die Schulverwaltung gekündigt.
Der Männerkreis bildet sich neu, die Frauenhilfe übernimmt diakonische Aufgaben, zwei Gemeindeschwestern sorgen für alte und kranke Menschen und leiten Gemeindekreise.
Religionsunterricht findet in allen Schulen statt. Nicht alle Katecheten verfügen über die notwendige theologische und pädagogische Qualifikation.
Die „dienende Gemeinde“, etwa 80 Gemeindeglieder, die sich in der Gemeinde engagieren, konstituiert sich und bewährt sich durch die Übernahme vieler Aufgaben.
Die Junge Gemeinde trifft sich über die Gemeindegrenzen hinweg.
Gemeinden in der DDR bekommen Patengemeinden aus der BRD zugeteilt, für Niederschöneweide sind das Bielefeld-Brackwede und Hilchenbach in Westfalen.
Im September 1952 findet eine Kreiskirchenvisitation statt. Im Bericht heißt es: „Der Kirchenraum ist durch Verglasung und Überdachung zwar benutzbar geworden, sieht aber. wenig einladend aus. Die Bestuhlung ist z.T. sehr primitiv. Der Gottesdienst war besucht von 380 Gemeindegliedern…Anerkannt muss werden, mit welchem Geschick und mit welcher Liebe jüngere Hilfskirchendiener der Jungen Gemeinde den Altar schmücken und den Kirchendienst versehen..“
Ab 1. Januar 1953 wird die Kirchensteuer nicht mehr staatlicherseits vom Lohn abgezogen, sondern direkt durch die Gemeinden erhoben.
Am 4. Oktober 1953, dem Erntedankfest, wird die Friedenskirche durch Generalsuperintendent Krummacher wieder eingeweiht. Neue Fenster der Fa. Deckwerth in Görlitz mit Symbolen zum Kirchenjahr werden eingesetzt. Die neue Orgel der Fa. Sauer erklingt seit dem 4. Advent 1958.
Mit der Gründung der BRD und der DDR 1949 ist Deutschland und damit auch Berlin geteilt. Der kalte Krieg schlägt sich auch in den Kirchen nieder.
1956 beschließt der westdeutsche Bundestag die Wiederbewaffnung der BRD und die allgemeine Wehrpflicht. Die EKD-Synode verabschiedet mit Mehrheit, gegen wichtige Stimmen aus West und Ost, den Militärseelsorgevertrag. Bischof Dibelius spricht in seiner Obrigkeitsdenkschrift der DDR-Regierung die Legitimität ab. Dagegen betonen Theologen und Kirchenführer aus beiden Teilen Deutschlands, daß „Gottes Wort nicht (an eine bestimmte Gesellschaftsordnung und Staatsmacht) gebunden ist“ und in West und Ost glaubwürdig verkündet werden muß. Zwischen Staat und Kirche in der DDR kommt es sowohl zu Konflikten als auch zu Phasen der Entspannung. Das Verhältnis von Staat und Kirche, von Christentum und Marxismus/Sozialismus prägt das kirchliche Leben auf allen Ebenen und ist sowohl von Zusammenarbeit und Vertrauen als auch von Enttäuschung und Distanz geprägt.
Die Bildungspolitik der DDR sieht in der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit rückständige und staatsfeindliche Kräfte am Werk. Junge Christen werden von Schulen verwiesen, der Zugang zu weiterführenden Schulen und zur Universität wird ihnen verwehrt oder erschwert.
Mit Einführung der Jugendweihe Mitte der 1950er Jahre nimmt die Zahl der Konfirmanden und Konfirmandinnen drastisch ab. Trotzdem lebt die Junge Gemeinde, in Niederschöneweide rechnen sich um 1960 insgesamt etwa 80 Jugendliche dazu. Sie treffen sich wöchentlich in kleinen Gruppen, teilweise nach Geschlechtern getrennt, lesen die Bibel, singen, spielen, diskutieren. unternehmen Fahrten in die nähere und weitere Umgebung. Im Turm der Kirche bauen sich die Jugendlichen ihren eigenen Jugendraum aus.
Mit dem Bau der Mauer 1961 wird auch die Junge Gemeinde getrennt. Einige der Gruppenleiter und der Jugendpfarrer leben in Westberlin. 1967 schreibt Pfarrer Höhne im Jahresbericht: „Die Junge Gemeinde ist in ihrem Kern bei einander geblieben, aber an Jahren älter geworden. Integration in die Gesamtgemeinde ist nach wie vor schwierig …“
Anfang der 1960er Jahre wächst die Gemeinde durch das Neubaugebiet direkt an der Kirche auf ca.12.000 Mitglieder an. „Etwa 20 % der aktiven Gemeindeglieder sind Wissenschaftler, insbesondere Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften und deren Familien“ berichtet Pfarrer Höhne 1962.